Ich habe eine Trakehner Stute. Ich wollte kein zweites Pferd haben. Und dann hatte das Pony meines damaligen Freundes nachts eine Kolik und morgens um 7 Uhr konnte ich es nur noch einschläfern lassen. Das war im Februar 2012. Am selben Tag um 7 Uhr abends hatte ich ein Bild von einem Pferd vor Augen. Schwarz, rund, imposant und mit langer wehender Mähne galoppierte es vor meinem inneren Auge. Und ich dachte: Weg mit Dir, das Pony ist gerade gestorben, da ist es doch makaber an ein anderes Pferd zu denken.
Es hörte nicht auf. Am nächsten Tag dachte ich: So ein Pferd gibt es sowieso nicht und wenn, dann kann man das nicht bezahlen.
Am dritten Tag dachte ich: Wo ist der Gaul?
Eine Bekannte, der ich vom verstorbenen Pony erzählte, fragte mich, ob es sein Welsh Cob gewesen sei. Nein, war es nicht! Was hatte ich denn jemals mit nem Welsh Cob zu tun?
Ich schaltete den Computer ein und fand unter 16.800 Anzeigen ihn: den damals 5 jährigen Wallach Veni Vidi Vici (v. Unicorn Viscont x Bimberg Ivanhoe), einen Welsh Cob, welch ein Zufall!
Ich las das Rasseprofil: Allrounder, DAS Familienpferd. Also das perfekte Pferd für meinen Freund, schließlich brauchte er wieder was zum Reiten!
Aber: Nicht sehr aussagekräftige und nicht aktuelle Fotos, eine recht kurz angebundene Besitzerin am Telefon, die das Pferd „nicht jedem geben will“, Videos gibt es nicht, man müsse schon persönlich vorbeikommen. Das wären 4h Fahrt für uns… Aber irgendwie ließ er mich nicht los.
Ich schickte ihr den Link meiner Homepage um mich vorzustellen sowie einen Link, wie ich mit meiner Trakehnerin und dem verstorbenen Pony at liberty arbeite, damit sie sieht, wie ich mit Pferden umgehe und verabredete mich für den folgenden Sonntag. Ich sagte ich würde mit Hänger kommen, denn ich wollte die Strecke nicht ein zweites Mal fahren müssen und bat sie, uns abzusagen, falls sie ihn schon vorher verkauft hätte.
Am Sonntagmorgen fuhren wir, mein damaliger Freund und ich, mit Hänger auf dem Hof vor. Eine Frau steht mitten im Hof und weint. Auf die Frage, was passiert sei, sagte sie: „Ach, das ist so traurig, dass ihr den jetzt mitnehmt“ Dabei hatte ich ihn noch gar nicht gesehen. Wie ich später erfuhr, hatte sie nach Anschauen meiner Links alle anderen Besichtigungstermine abgesagt.
Sie drückte mir einen Strick und zwei Möhren in die Hand und zeigte mir Veni, der zusammen mit seiner Mutter in einem großen Paddock stand, und sagte, dass er sich jetzt wahrscheinlich gar nicht einfangen ließe, da sie die beiden vor kurzem erst rausgelassen hätte.
Ich betrat das Paddock und ging langsam auf die am entgegengesetzten Ende stehenden Pferde zu. Von der anderen Seite kam Veni mir entgegen. Wir trafen uns in der Mitte.
Nach einigem Probeführen und Probeputzen seitens meines Freundes und einem Probeaufsitzen meinerseits – denn mehr konnte Veni zu dem Zeitpunkt noch nicht, war klar, dass wir ihn für meinen Freund kaufen würden. Wir saßen zu dritt am Küchentisch, mein Freund schob der Vorbesitzerin das Geld rüber und sie schob MIR die Pferdepapiere rüber.
Im Nachhinein erfuhr ich, dass die Vorbesitzerin Veni’s Verkaufsanzeige am Abend vor der tödlich endenden Kolik der Ponys eingestellt hatte.
Naja, und irgendwie ging die Geschichte immer so weiter. Ich arbeitete und ritt Veni ein – ohne Sattel, denn wir hatten noch keinen passenden. Alles völlig problemlos. Als einige Wochen später – nun mit Sattel – mein Freund Veni ritt hätte man nicht sagen können, dass da ein unerfahrener Reiter auf einem frisch angerittenen Pferd sitzt. Und weil das alles so problemlos war wollte nun mein Freund selber reiten und warf alle meine Vorreden darüber, wie man an ein fremdes und dazu auch noch junges Pferd herangeht, über Bord, schwang sich ohne Vorwarnung wie ein Cowboy bei langem Zügel auf Veni drauf… dieser startete durch wie ein Rodeopferd und kurze Zeit später lag mein Freund am anderen Ende der Halle wie ein Käfer auf dem Rücken. Wenige Wochen später erklärte er mir zwischen Tür und Angel, dass er sich von Veni trennen wolle. Nun, für mich war völlig klar: ICH würde mich nicht von Veni trennen!
Als Veni bei uns ankam war es Ende Februar. Die Pferde standen tagsüber auf Paddocks. Normalerweise ist meine Trakehnerin freundlich und interessiert Neuankömmlingen gegenüber und die Neuankömmlinge finden meine Trakehnerin sehr sympathisch. Als ich Veni auf das Nachbarpaddock stellte war der Zaun innerhalb von 10 Sekunden kaputt. Von beiden Seiten.
Veni war lange Hengst gewesen und hatte dazu passendes Verhalten wie Beißen, mit dem Vorderbein Schlagen, reagierte bei Berührungen völlig über, hob dabei schon mal das Hinterbein, stellte dann aber jedes Mal fest, dass das eigentlich böse war und flüchtete daraufhin. Er hatte Angst vor Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen und davor, mit Wasser abgespritzt zu werden. Es dauerte lange Zeit ihm klar zu machen, dass das Überrennen der Führperson keine gute Lösung ist. Außerdem übte ich erst, ihn mit einem immer feuchteren Schwamm abzuwaschen und spritzte dann auf dem Reitplatz stehend in Eimern bereitstehendes Wasser mit Hilfe eines leeren Joghurtbechers über ihn. Auf dem Weg zur Weide wurde täglich ein altes Stück Schlauch aufgehoben und über Venis Körper gestreichelt. Schließlich gelang auch das Abspritzen mit dem Wasserschlauch am Waschplatz.
Das Beißen gewöhnte ihm unter anderem meine Trakehnerin ab, die, obwohl sie davor nie gebissen hat, gleich ganze Stücke aus ihm herausbiss. Offensichtlich war sie von seiner Beißerei so genervt. Inzwischen bewohnen die beiden harmonisch einen Paddock Trail mit Unterstand und Heuraufe und lassen sich problemlos zu zweit nebeneinander führen.
Veni wird im Rahmen der Akademischen Reitkunst geritten und vom Boden aus gearbeitet, geht ins Gelände und springt einen kleinen Parcours unterm Reiter. Zudem wird er auch at liberty, also frei, gearbeitet.
Auf deutsch würde man das ganze wohl Freiheitsdressur nennen. Doch hat es nichts mit Zirkus oder Manege zu tun. Unabhängig von allen Ausrüstungsgegenständen, die man sonst am Pferd anbringt um diesem sein Anliegen zu vermitteln, und ohne direkte seitliche Anlehnung an Wände und Zäune folgt das Pferd seinem Ausbilder oder führt Aufgaben aus. Das Arbeiten eines Pferdes at liberty kann wohl als Königsdisziplin des amerikanischen Horsemanship gesehen werden. Selbstverständlich sollte der Übungsort zur Sicherheit stets außenherum eingezäunt sein!
Voraussetzung für die Libertyarbeit sind natürlich erstmal die Basis-Umgangsformen. Die Vorbereitung des Pferdes findet „online“ statt, also am Knotenhalfter und Seil. Das Pferd lernt auf Druck – sei es körperlicher oder mentaler Druck, wie z.B. die Bewegung eines Sticks (Stock mit Schnur daran, der als Verlängerung des Arms dienen soll) zu weichen, zu stoppen, rückwärts zu treten, die Hinterhand und die Schulter zu verschieben. Schließlich auch dem Ausbilder zu folgen. Es lernt, dass die Antwort auf alles (Ablenkung, Angst, Druck) das „come to me“ ist, also das Herkommen zum Ausbilder. Kommt das Pferd zum Ausbilder, ist Ruhe und Entspannung angesagt. Entfernt es sich, bekommt es Druck und Arbeit. Hat es dies verstanden und je stabiler diese Basis tatsächlich ist, desto mehr kann der Ausbilder später vom Pferd at liberty fordern, ohne dass es wegläuft, weil es sich der Anstrengung entziehen will oder die Autorität seines Ausbilders anzweifelt. Die Hilfen sollen auch hier fein und unsichtbar sein. Das Pferd orientiert sich an der Körpersprache des Ausbilders.
Ansonsten gilt, dass der Weg das Ziel ist. Es dauert Jahre eine stabile und belastbare Basis zu schaffen. Doch auch kleine Schritte und Erfolge festigen die Beziehung zwischen Pferd und Ausbilder und können als motivierende Abwechselung zum Reiten und dem normalen Alltag dienen.
„When you take of the halter you are left with only one thing: The truth“ ( Wenn Du Deinem Pferd das Halfter ausziehst, bleibst Du zurück mit einer einzigen Sache: Der Wahrheit) Der Wahrheit darüber, ob Dein Pferd bei Dir sein will, darüber, ob es daran interessiert ist, das zu tun, wozu Du es aufforderst, ob es Dich als Führung akzeptiert, ob es Dir Respekt entgegenbringt…
Dies ist ein Zitat von Pat Parelli, einer derer, die das Horsemanship bekannt gemacht haben. Impulse für meine Arbeit habe ich von Honza Blaha, vielleicht dem bekanntesten Parelli Schüler, der jedoch eine eigene Methode entwickelt hat und sich vom Parelli-System distanziert.
„Das Pferd ist ein Spiegel, es schmeichelt Dir nie. Ärgerst Du Dich über Dein Pferd könntest Du Dich ebenso wohl über Deinen Spiegel ärgern“ (Rudolf Binding). Läuft Dein Pferd weg wenn Du es frei lässt, ist es ein Statement, das nicht unbedingt angenehm ist, denn „Man kann die Wahrheit nicht ins Feuer werfen. Die Wahrheit ist das Feuer.“ (Friedrich Dürrenmatt) Und so ist das liberty das Feuer des Umgangs mit seinem Pferd. Es zeigt einem ganz klar und unverblümt, wie es um die Beziehung zu seinem Pferd steht. Hat aber auf der anderen Seite wunderbare magische Momente für die sich alle Arbeit lohnt.
Der Vielfalt dessen, was man alles at liberty machen kann, sind keine Grenzen gesetzt. Es können Lektionen bis hin zur Versammlung erarbeitet werden, das Springen, Hinlegen oder „Tricks“ wie dass das Pferd seinem Ausbilder rückwärts folgt.
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